„O Kraft der Weisheit“

Ein Abend mit der heiligen Hildegard von Bingen

Heiligenstadt. Alles war anders als erwartet bei diesem Eichsfeldforum am Donnerstag. Anders war es und einfach wunderbar. Nicht im Saal, sondern dem Thema angemessen in der Kapelle des Marcel-Callo-Hauses erlebten die andächtig lauschenden Besucher einen unvergesslichen Abend mit Klara vom Querenberg (Sabine Lindner) aus Erfurt, der auch im Eichsfeld bekannten Musikerin und Instrumentalistin. Ihr Programm unter dem Titel „Virtus sapientiae – O Kraft der Weisheit“ war der heiligen Hildegard von Bingen gewidmet. Die Benediktinerin (1098-1179) gilt als eine Universalgelehrte des Mittelalters, ist bis in unsere Tage bekannt als Äbtissin, Komponistin, Dichterin, Kräuter- und Heilkundige, Therapeutin, Naturforscherin, Kirchenlehrerin. Kurzfristig musste allerdings umgeplant werden, denn eine Stimmbandentzündung Sabine Lindners bedeutete: strenges ärztlich angeordnetes Sprech- und Singverbot. Doch konnte Maria Anhalt, Ansprechpartnerin für das Eichsfeldforum, beruhigt zur Kenntnis nehmen: Das Konzert braucht nicht abgesagt zu werden. Sabine Lindner spielte wie gewohnt auf verschiedenen historischen Instrumenten, teils begleitet von ihrem Mann, dem Bildhauer Thomas Lindner. Der hatte es übernommen, sämtliche von seiner Frau verfassten Texte über das Leben und Wirken Hildegards vorzulesen. Hildegards Lieder, die eigentlich live zu Gehört gebracht werden sollten, erklangen von CDs. Bereits im Dezember 2018, als die Künstlerin mit ihrem Advent-Programm im Marcel-Callo-Haus ihre Zuhörer begeisterte, hatte Maria Anhalt ein Wiedersehen und Wiederhören im Mai 2019 angekündigt. Am Abend mit der heiligen Hildegard ging es nicht darum, deren Biografie vorzutragen, um aus heutiger Sicht etwas “hineinzuinterpretieren“. Bereits im Alter von 16 Jahren hatte sie – und das war nicht ungewöhnlich für Mädchen jener Zeit – ihr klösterliches Gelübde abgelegt. Als Ziel des menschlichen Lebens sah sie die innere Ordnung an, in der die widerstrebenden Kräfte zur Harmonie, zur Einheit zusammenwachsen. In ihren Liedern brachte die Ordensfrau zum Ausdruck, auch sie sei hin- und hergerissen in den Turbulenzen des Daseins, sei nicht geschützt „vor den Wogen der Welt“. Für die Nonne Hildegard bildeten der Körper, die Seele und die Sinne eine Einheit. Beseelt von der Wirkung der Musik, hielt sie ihre Gedanken fest, der Klang hebe das Wort empor, wie der Adler in die Luft emporgehoben werde, damit er fliegen könne. Musikinstrumente bedeuteten ihr viel mehr als mechanische Klangkörper zum Erzeugen von Tönen, würden sie doch auf den Schöpfer selbst verweisen. Die Harfe – sie gehört zu den von Sabine Lindner gespielten Instrumenten – wurde im Mittelalter sogar therapeutisch zur Behandlung kranker Menschen eingesetzt. Neunzig Minuten in der musikalischen Welt der heiligen Hildegard bedeuten für Menschen des 21. Jahrhunderts, unabhängig von Religion und Weltanschauung, eine kurzzeitige Atempause in der Alltagshektik, ein wohltuendes Eintauchen in eine harmonische Welt. 




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